Asterix in den Schweizer AKW und beim deutschen Katastrophenschutz

Im Falle eines Schweizer Super-GAUs würde Deutschland die meiste radioaktive Strahlung abbekommen. Mehr als die Schweiz selbst und auch mehr als jedes andere europäische Land.

Das zeigt eine neue Studie des Trinationalen Atomschutzverbandes TRAS auf, die am 26. Juni 2025 in Stuttgart präsentiert wurde. Die Studie „Grenzenloses Risiko: Gefährdung Deutschlands durch schwere Unfälle in Schweizer Atomkraftwerken“ verdeutlicht, wie die eidgenössische Atomaufsicht die Gefahren klein redet und auch, dass der Katastrophenschutz in Baden-Württemberg seine Hausaufgaben nicht macht.

Rückblende: In den 1980ern, als Menschen mit komischen Frisuren mit Zauberwürfeln quietschten, als das Faxgerät die Büros eroberte und das atomare Wettrüsten in irre Dimensionen kulminierte, ging das „jüngste“ Schweizer AKW, ans Netz: Leibstadt; ein Siedewasserreaktor; eine Sicherheits-defizitäre Technik. Im Orwell-Jahr 1984. Geplant war die Anlage für 40 Jahre, eine Betriebszeit übrigens, die für AKW als Auslegungsgrenze gemäß Internationaler Atomenergie-Agentur, IAEA, maßgeblich war.

Foto: © Dr. Eva Stegen

Die anderen 5 Schweizer AKWs hatten bis dahin schon einen ordentlichen Haufen Atommüll produziert. Bis 1982 wurden 5321 Tonnen Eidgenössischer Atommüll vor der Schweizer Küste (schön, dass Sie aufmerksam mitlesen!) im Atlantik versenkt. Das hätte sich Asterix bei den Schweizern wohl nicht träumen lassen: So also kehrten die ständig fegenden Helvetier ihre Probleme unter den atlantischen Teppich. Asterix lernte Nummernkonten und das Bankgeheimnis kennen, lüftete aber nie das Geheimnis um den havarierten Schweizer Atomreaktor Lucens: war er Teil des Atomwaffenprogramms der Schweiz (1945 – 1988)?

Würde Asterix sich in Südbaden zur atomaren Bedrohung durch Schweizer Problem-Meiler umhören, käme er womöglich auf die Idee, dass „die spinnen, die Alemannen“. Die haben so ein merkwürdig-blindes Uhr(!)-Vertrauen in die Schweizer Atomkraftwerke, als liefen die tatsächlich so sicher wie Schweizer Uhren. Dabei entspricht keine der noch laufenden eidgenössischen Atomanlagen dem aktuellen Stand von Wissenschaft und Technik. Ausgerechnet an der Deutsch-Schweizer Grenze steht der älteste AKW-Park der Welt. 1969 ging Beznau 1 ans Netz. Das Herzstück des Altmeilers, der Reaktordruckbehälter, hat schon mehrfach wegen seines Sprödbruchrisikos für Schlagzeilen gesorgt. Das Notkühlwasser für den Methusalem wird auf geriatrisch-gemütliche 30°C vorgewärmt, damit der Druckbehälter im Notfall keinen Thermoschock erleidet: Denn das würde zum Bruch des Reaktorstahls führen – der Super-Gau wäre unvermeidlich. Vorgewärmtes Wasser, das für spröden Reaktorstahl bereitsteht? „Das ist von der Auslegung her nie vorgesehen“, erklärte Atomsicherheitsexperte Prof. Manfred Mertins schon vor 9 Jahren. Das weise auf einen bedenklichen Werkstoffzustand hin. Einige der Sprödbruchkandidaten, wie Fessenheim 1 und 2, Doel 1 und 3, sind inzwischen stillgelegt. Beznau 1 nicht. Ein nonchalanter Umgang mit den Auslegungskriterien.

Atomsicherheits-Experte: „Risiken in der deutschen Öffentlichkeit kaum bekannt“

Anhand der Schweizer AKW wird deutlich, „wie gravierend Sicherheitsdefizite selbst in Anlagen sind, die von den zuständigen Behörden als „ausreichend sicher“ eingestuft werden.“ erklärte der ehemalige oberste Atomaufseher im Bundesumweltministerium, der Physiker und Jurist Prof. Wolfgang Renneberg, anlässlich der Veröffentlichung der TRAS- Studie „Grenzenloses Risiko: Gefährdung Deutschlands durch schwere Unfälle in Schweizer Atomkraftwerken“.

Die Analyse macht deutlich, dass „ein schwerer Unfall in einem Schweizer AKW mit großer Wahrscheinlichkeit auch Deutschland massiv betreffen würde. Dies gilt insbesondere, aber nicht ausschließlich, für den Süden Deutschlands. Dennoch sind die potenziellen Auswirkungen eines solchen Super-GAU in der deutschen Öffentlichkeit kaum bekannt.“

Die Untersuchung zeigt auf, dass die Schweizer Atomaufsicht ENSI die Gefahrenpotenziale mit angenommenen radioaktiven Freisetzungen so berechne, dass sie weit unterhalb dessen liegen, was unabhängige Experten bei einem größten anzunehmenden Unfall, GAU, berechnen. Der TRAS kritisiert die Intransparenz, bezüglich der Annahmen, mit denen die behördlichen Extrem­szenarien berechnet werden. Es sei unklar, wo der maximale Ausschlag liegt. Darüber hinaus enden die Schweizer Unfallszenarien an der Landesgrenze – im Gegensatz zu den realen Konsequenzen.

Die TRAS-Studie vergleicht diverse Untersuchungen, Modellrechnungen und Abschätzungen zur möglichen Ausbreitung einer radioaktiven Wolke aus einem Schweizer AKW, den Fallout, die radioaktive Belastung für Mensch und Umwelt und die Konsequenzen eines schweren Unfalls. „Ziel dieser Überblicksstudie ist, erstmals aus den Erkenntnissen der einzelnen Studien ein umfassendes Bild über die bei einem schweren Atomunfall in der Schweiz möglichen Folgen für Deutschland zu zeichnen.“

„Die Aufsichtsbehörde in der Schweiz unterschätzt die möglichen Folgen für Mensch und Umwelt dramatisch“,

sagt Dr. Hauke Doerk, Referent für Radioaktivität, Energie- und Klimapolitik beim Umweltinstitut München.
Schon mehrfach standen wir vor der Situation, erkennen zu müssen, dass das Unmögliche möglich ist. Als im hochentwickelten Land Japan gleich 3 Reaktoren havarierten und die katastrophale radioaktive Freisetzung nur durch einen glücklichen Zufall, durch die Windrichtung, nicht dazu führte, dass die Millionen-Metropole Tokio evakuiert werden musste. Nur weil sich heute eine kollektive Verdrängung breit gemacht hat, weil Medienschaffende unreflektiert wiederkäuen, man könne ja die alten AKW noch „eine Weile weiterlaufen lassen“, heißt das nicht, dass die Dimension des Risikos durch den Betrieb alter AKW sich durch engagiertes Wegschauen verkleinert hat. Im Gegenteil, die Alterungsprozesse schreiten irreversibel fort.

Für den Ex-Atomaufseher Renneberg ist klar: „Die Untersuchung verdeutlicht, dass die gesetzlichen und regulatorischen Rahmenbedingungen in der Schweiz in den vergangenen Jahren eher abgeschwächt als verschärft wurden.“

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